Die Rahmenbedingungen des Religionsunterrichtes werden in NRW durch die Bestimmungen des Grundgesetzes Art. 4 +7 reguliert. In Artikel 4 wird die Freiheit der Religionsausübung der Bürgerinnen und Bürger unter staatlichen Schutz gestellt. Von daher sind die Regelungen des Artikels 7 den Religionsunterricht betreffend nicht zu interpretieren als staatliches ‚Geschenk‘ an die Religionsgemeinschaften, sondern als die Bedingung der Möglichkeit der Religionsausübung und Bildung von Religion in formalen Bildungsprozessen. Der freiheitliche Rechtsstaat basiert auf religiösen und weltanschaulichen Voraussetzungen, die ein weltanschaulich neutraler Staat nicht selbst setzen kann, deren Vermittlung im Bildungssystem jedoch unerlässlich bleibt.
Der Artikel 14 der Landesverfassung NRW sowie § 31 Schulgesetz NRW formulieren analog den Bestimmungen des Grundgesetzes. Insofern nimmt der Religionsunterricht Bezug auf gesellschaftlich reale Religionsgemeinschaften als inhaltliche Bezugsgrößen. Die Inhalte des Religionsunterrichtes werden nicht durch den weltanschaulich neutralen Staat bestimmt, sondern in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften festgelegt. Insofern ist Religionsunterricht in den Bundesländern, die mit Inkrafttreten des Grundgesetzes keine anderslautenden Regelungen hatten, kein neutrales religionskundliches Fach, sondern authentisch auf das jeweilige Bekenntnis bezugnehmender Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach. Lehrerinnen und Lehrer werden an staatlichen Universitäten ausgebildet, durch die Religionsgemeinschaften beauftragt (Vokation/Missio) und durch vom Staat finanziell unterstützte kirchliche Institute begleitet und fortgebildet. Darüber hinaus besteht das Recht zur mit den Schulbehörden zu verabredenden Einsichtnahme der kirchlichen Oberbehörden in den Unterricht. Die derzeitigen Bemühungen um die Einführung des Faches islamischer Religionsunterricht unterliegen grundsätzlich den gleichen Bedingungen, jedoch mit der für den Staat problematische Frage nach dem entsprechenden Ansprechpartner, da der Islam in Deutschland nicht über eine mit den Kirchen vergleichbaren Organisationsstruktur verfügt. Gleichwohl geht es auch bei diesen Bemühungen nicht um Religionskunde, sondern um Religionsunterricht im o.g. Sinn.
Hinzu kommt die Grundlegung des Bildungsverständnisse in unseren Schulen auf der Grundlage der Domänenspezifik (Jürgen Baumert), die sehr sachgemäß die unterschiedlichen Modi der Weltbegegnung – zu unterscheiden aber nicht zu trennen – beschreibt.
Politik / Recht / normativ-evaluative Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft (Grundfrage: Wie ist die soziale Welt verbindlich zu ordnen?)
Naturwissenschaften / kognitiv-instrumentelle Modellierung der Welt (Grundfrage: Wie geht es?)
Kunst / ästhetisch-expressive Begegnung und Gestaltung (Grundfragen: Wie begegnet mir Wirklichkeit? Wie kann ich Wirklichkeit ausdrücken?)
Religion/Philosophie – Probleme konstitutiver Rationalität (Grundfragen; [Philosophie]: Was ist wirklich? [Religion]: Wozu bin ich da?)
Auf dieser Grundlage hat der Religionsunterricht die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler in der Entwicklung einer eigenen religiösen Identität zu unterstützen sowie deren vorhandene religiöse Prägungen einem Bildungsprozess zu unterziehen und kulturelle Praxis von Religion als Lebensressource zu begreifen. Dabei ist das Interesse der Kirchen ausdrücklich nicht Nachwuchs in der Kirchenmitgliedschaft zu organisieren, sondern in freier symmetrischer Kommunikation unter Beachtung des Überwältigungsverbots religiöse Identität zu bilden. Sollte sich ein Schüler nach der Schulzeit und der Teilnahme am Religionsunterricht zum Kirchenaustritt entscheiden ist auch dies ein Bildungserfolg im Sinne des Grundgesetzes!
Die Ansicht, diese Bildungsprozesse hätten im schulischen Raum keinen Platz und seien durch ein weltanschaulich neutrales Fach (Ethik, Philosophie, Religionskunde) zu ersetzen ist zwar verbreitet aber gesellschaftlich überaus problematisch. Ungebildete Religion führt immer wieder zu exklusiven, fundamentalistischen Haltungen, die gesellschaftliche Verwerfungen generieren und das friedliche Zusammenleben in der pluralen Gesellschaft erschweren. Pluralitätsfähigkeit ist daher ein zentrales Bildungsziel des Religionsunterrichts und entspricht den realen Herausforderungen durch die zunehmende Religionspluralität in NRW, die allerdings regional sehr unterschiedlich entwickelt ist. Daher wird in den vorliegenden Thesen zur Weiterentwicklung des Religionsunterrichts in NRW nicht von einem einheitlichen Modell für alle Regionen unseres Bundeslandes ausgegangen, sondern von erlassregulierten Optionen: RU in getrennten Lerngruppen, KOKORU sowie Module interreligiöser Begegnung unter Einbeziehung der säkularen Option (Philosophie).
Auch wenn die Zahl der kirchlich gebundenen Schülerinnen und Schüler abnimmt, bleibt das Interesse an Fragen konstitutiver Rationalität unverändert hoch!